Ein Vortrag der Stiftung Baukultur – Saar zeigte, wie bezahlbarer Wohnraum schneller und kostengünstiger gebaut werden kann
Anfang des Jahres erarbeitete die Architektenkammer des Saarlandes Lösungsvorschläge für den bezahlbaren nachhaltigen Wohnungsbau.
Einer davon war „Gebäudetyp E/ Einfacher bauen“. Der „Gebäudetyp E“ ist ein bundesweit diskutiertes Instrument, das sachkundigen Bauherren und Planenden die Möglichkeit bieten soll, von technischen Regeln
abzuweichen. Das „normenreduzierte“ Bauen würde einfacher, schneller, günstiger und auch architektonisch abwechslungsreicher werden. Das „E“ steht für experimentell und einfach.
Einfache Bauweisen sind ein Arbeitsschwerpunkt des Architekturbüros Atelier Kempe Thill aus Rotterdam. Wie sich das Zusammenspiel von Normen auswirken kann, erfahren die beiden deutschen Architekten
Oliver Thill und André Kempe täglich. Sie bauen in unterschiedlichen europäischen Ländern. In einer Grafik haben sie zusammengestellt, wie sich die gültigen Normen auf die Wandund Deckenaufbauten in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Frankreich auswirken (s. Grafik). Wahrscheinlich ist es auch eine Frage der Mentalität, aber es ist eindeutig erkennbar, dass Gebäude in Deutschland in dem 4-Länder-Vergleich komplexe Aufbauten haben. Wohingegen Planende in Frankreich mit wenigen Materialien und Wandstärken auskommen.
Werkvortrag zum Wohnungsbau
Auf Einladung der Stiftung Baukultur – Saar sprach Oliver Thill am 27.04.2023 im VHS-Zentrum in Saarbrücken darüber, wie sich eine einfache Bauweise mit dem Wohnungsbau verbinden lasse.
Jens UKFW Stahnke, stellvertretender Vorsitzender der Stiftung und Vizepräsident der Architektenkammer des Saarlandes ordnete in seinem Grußwort das einfache Bauen im Themenkomplex der Nachhaltigkeit ein. So fördern seiner Meinung nach einfache Konstruktionen mit wenigen Schichtaufbauten das recyclingfähige Bauen und das Verwenden regionaler Baumaterialien. Deutsche Planende seien „neidisch“ auf das einfache Bauen in den Niederlanden. Das Land sei bereits in den 90er-Jahren der „Place to be für Architekten“ gewesen.
Oliver Thill, zudem Professor an der Leibniz Universität in Hannover, zeigte aus dem umfassenden Werk seines Büros ausschließlich Wohnungsneubauten.
Bei dieser Bauaufgabe bedeute Nachhaltigkeit für ihn „eine persönliche Bindung zum Objekt“ aufzubauen. Denn gerade beim sozialen Wohnungsbau sei die Identifikation der Bewohner mit ihren Häusern enorm wichtig. Daraus entsteht Wertigkeit und Dauerhaftigkeit, auch wenn einfach gebaut wird.
Vorbilder findet das Büro im Klassizismus. Die Planer mussten damals mit wenig Geld auskommen. Der Klassizismus sei einfach und symmetrisch.
Zu Beginn seines Vortrags brach Thill eine Lanze für das normenreduzierte Bauen. In Deutschland gebe es „eine Angstidentität und einen großen Lobbyismus“. Die Normen dienten der Industrie und schränkten die Freiheit der Planenden und der Bauherren ein.
Beim bezahlbaren Wohnungsbau sollten auch Planung und Herstellung ökonomisch betrachtet nicht aus dem Ruder laufen. „Wenn ich im Wohnungsbau Geld sparen will, ist die Fassade die Top-Priorität“, erläuterte der Architekt. Das funktioniere u. a. durch Wiederholung. Das Atelier Kempe Thill setzt Wiederholung sowohl im städtebaulichen Maßstab ein, in dem es gleiche oder ähnliche Gebäude als Ensemble entwirft, als auch in der Fassadengestaltung. Gründe für das Entwurfsprinzip seien, wie Thill schmunzelnd zugibt: „Weil wir faul sind“ und weil es wenig Details gebe und dadurch eine hohe Effizienz.
Ein weiteres Grundprinzip ist der flexible Grundriss. Wenn möglich wird die Tragstruktur so gewählt, dass der Innenraum frei organisiert und bespielt werden kann – „frei programmierbar ist“. Dadurch sind die Gebäude von außen uniform, aber innen individualisierbar. Es liegt den Architekten am Herzen, die Grundwohnung den persönlichen Bedürfnissen ihrer Bewohner anzupassen.
Die Häuser werden weitestgehend aus vorgefertigten Bauteilen hergestellt. Beim Innenausbau setzt das Büro auf einfache Elemente wie z. B. Konstruktionsbeton, Holztüren, Sprühputz oder thermisch verzinkte Geländer.
Anhand zahlreicher Projekte in den bereits genannten 4 Ländern, die Thill in seinem kurzweiligen Werkvortrag vorstellte, wird die Arbeitsweise des Ateliers erfahrbar. Serielle Parzellen-Häuser, Scheibenhäuser, „Stadtvillen“ mit 60 Wohnungen, Lofts im sozialen Wohnungsbau, Wohnhochhäuser. Vieles gehe nur in den Niederlanden. In Deutschland, die Beispiele sind aus Bremen und Berlin, werde traditioneller gebaut. Hier kommen Mischbauweisen, z. B. aus Kalksandstein und Beton zum Einsatz. Schwierig sei in Deutschland der § 34 BauGB, den es so in anderen Ländern nicht gebe. Laut Thill ein „Nachverdichtung-Verhinderungs-Paragraf“.
Durch die flexiblen Grundrisse, die vor allem durch eine clevere Erschließung möglich werden, können auch kleine Grundrisse mit 65 m² viel bieten. Thill nennt es „Existenz-Maximum“. Bei einem Projekt aus Paris zeigten sich die Unterschiede in der Mentalität: gebaut wurde mit Decken aus 20 cm Stahlbeton mit Linoleum und 5-cm-starken „Karton-Trennwänden“. Auf die Frage, was die Bewohner am liebsten hätten, kamen die Antworten, der Hof sei schön und die großen Balkone, aber am besten sei die Ruhe. Lärm wird demnach individuell wahrgenommen.
Jens Stahnke hatte das Schlusswort: „Wir müssen jetzt viel bauen und dürfen nicht zögern. Deswegen finde ich klasse, wie ihr das macht.“
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Text: Kim Ahrend